43. Kapitel - Vergeltung
Vica grinste breit und wankte über den bebenden Boden der Irreninsel, der sich langsam immer weiter aus dem Wasser zu erheben schien. Oder sank der Meeresspiegel? Der junge Drache tippelte unruhig auf der Stelle, schnaubte und stieß dabei ein Stichflämmchen aus. Er hatte Zeit bekommen, um sich auszuruhen und mehr Kräfte zu sammeln, er wusste, dass ihnen Großes bevorstand und nun würde er tun, was sie von ihm brauchte. Sie fand ihren Weg zu der gewaltigen Kreatur, hielt sich an einem Schulterblatt fest und zog sich trotz des bebenden Bodens zwischen Flügel und Hals auf den Rücken des Drachen.
Skeptisch schwankte das große Wesen hin und her, irritiert vom wackelnden Boden und der Gestalt auf seinem Rücken. Der Drache schüttelte den Kopf und hätte Vica dabei fast abgeworfen. Unruhig schlug er einmal mit den Flügeln und beteiligte sich an schneidenden Windböen, die Vicas weiße Haare aufblähten und in ihr Gesicht wehten. Angewidert schob sie die Haare mit der Zunge wieder aus dem Mund und wischte sie mit einer unwirschen Geste aus dem Gesicht, als sie sich traute, eine Hand zu lösen. Die Stacheln, die den Nacken des Drachen spickten, waren dick und glatt und unhandlich. Sie dienten kaum zum Festhalten. Vielleicht hätte sie sich einen Sattel besorgen sollen, auch wenn sie nicht wusste, wo sie einen passenden Sattel hätte finden sollen. Nun würde es ohne gehen müssen. Los, befahl sie und hielt sich mit aller Kraft an den nassen Stacheln fest.
Mit kräftigen Flügelschlägen gehorchte der Drache und schüttelte seine Reiterin durch. Die Schulterblätter des riesigen Tieres bewegten sich unter Vica und wollten sie von seinem Rücken reißen und das Zerren der Luftströme, die die Flügelschläge verursachten, pfiff ihr viel zu laut in den empfindlichen Ohren. Doch wenigstens hatte der Drache aus seinem Flugtraining gelernt und auch wenn sich die Reiterin nur mit Not festhalten konnte, war sie noch nie mächtiger gewesen.
Vica sah den Bienenstock weit unter sich, sah durch die dämonischen Augen winzige Gestalten, die hektisch durch die Straßen rannten und wie mehr und mehr Häuser unter der Gewalt des Erdbebens in sich zusammenbrachen. In der Hauptstadt läuteten die Glocken und die rachelustige Drachenreiterin schloss kurz die Augen, um den Geschmack gespannter Erwartung im Angesicht der Panik zu genießen. Die schwarzen Finger prickelten erregt und ein Grinsen legte sich auf ihre Züge.
Dann spürte sie, dass der Drache noch unruhiger wurde, und warf einen Blick zurück auf die Irreninsel. Die kleine Insel wuchs aus den Fluten empor, wurde immer größer und brachte das aufgebrachte Meer zum Brodeln. Immer geringer wurde die Distanz zum Bienenstock und die wenigen Pflanzen und Überreste der Hütten waren nur noch ein kleines Krönchen auf einem algenbedeckten Berg. Fasziniert sah Vica dabei zu, wie der Berg sich an den flachen Bienenstock anschloss, und dann zeichnete sich ein Kreis bläulich-grünlichen Lichts auf dem Stein ab, der immer heller zu werden schien. Noch immer bebte der Boden, doch langsam ebbte es ab, weil der Berg nicht mehr weiterwachsen musste. Stattdessen wuchs der Kreis auf die doppelte Größe eines Stadttors an und Brocken begannen hinaus zu brechen, durch die feine Lichtstrahlen in die Wolkendecke emporschießen konnten.
Die dämonische Präsenz in ihrem Inneren war von gespannter Erwartung erfüllt und Vica grinste etwas breiter. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Stadt, während das Licht hinter ihr immer heller wurde und mehr davon durch den Stein dringen konnte. Statt sich weiter damit zu beschäftigen ließ sie ihren Drachen in den Sinkflug gehen und hielt auf die Brücke zu, über die die kleinen Menschlein stürzten, als könnten sie tatsächlich vor der Unterwelt davonlaufen. Sie, die keine Andersartigen unter sich duldeten, die noch immer nicht an ihrer Schlechtigkeit vergangen waren. Vica verzog das Gesicht, während das Herz ihr aufgeregt in der Brust pochte. Feuer, befahl sie dem Drachen und zwang die Drachenflammen auf die Brücke hinab. Kleider brannten, Menschen schrien und sprangen in die Fluten des tosenden Meeres und versanken lodernd in den Wogen. Die Panik wurde so haltlos, dass es genügen würde, um den Weg zu versperren, doch vorsichtshalber setzte sie auch noch die Palisade in Brand. Es residierte jemand auf dieser Insel, der nun endlich bereuen würde, was er getan hatte. Während der Geruch von brennendem Fleisch zu Vica hinaufstieg, fand ihre Wut auf Machairi neue Nahrung in der rauschenden Macht, die Ebos und dieser Drache ihr verliehen. Sie würde den Bienenstock zerstören und jeden, der noch dort war, sie würde Kefa bezahlen lassen und ihm alles nehmen, was er sonst zu beschützen suchte, sich zu allerletzt.
Der Drache segelte über die Armeninsel. Man hatte den Bienenstock oft genug als einen Vorhof zur Unterwelt beschrieben und nie hatte jemand geahnt, wie recht er damit hatte. Vica zog Kreise, entfachte hier und da ein Feuer, auch wenn lange nicht jeder Versuch des Drachen gelang. Sein Flug war jedoch stetiger und ruhiger geworden und das machte es leichter, sich auf dem schuppigen Rücken zu halten. Sie genoss die wilde Panik und sah der Vergeltung aus der Ferne zu, wie sie sich entfaltete. Etwas hielt sie davon ab, sich weiter zu nähern, als müsse sie das große Ganze, nicht Details sehen, um sich gut zu fühlen. Doch dann sah sie die Trümmer des Pesthauses und kleine Gestalten dazwischen und grinste etwas breiter. Die hässliche Visage des verräterischen Herzogssohnes war selbst auf die Entfernung gut zu erkennen, so deutlich wie Spítha seine Unterschrift darauf hinterlassen hatte. Mit dem hatte sie auch noch eine Rechnung offen.
Vica ging tiefer und landete den Drachen auf einem benachbarten Haus, um die kleine Menschengruppe besser betrachten zu können. Das Kind, die Frau und der andere Kerl waren ihr fremd, aber die familiäre Ähnlichkeit der Männer war nicht zu übersehen und legte den Schluss nahe, dass dieses verschreckte Mädel die viel diskutierte Freundin war. Machte er es ihr absichtlich so leicht? Vica grinste und schrak im nächsten Moment zusammen, weil der Fuß des Drachen durch das Dach des Hauses brach und ihn zum Straucheln brachte. Mit rudernden Flügeln purzelte Diabhal vom Dach und fiepte erschrocken auf. Außerdem schien er sich über Schmerzen beschweren zu wollen, aber Vica war sich sicher, dass er sich nur anstellte. Nur knapp hatte sie sich auf seinem Rücken gehalten, als er in der Gasse zum Stehen kam, und rutschte hinter den unhandlichen Rückschuppen zurecht. Passiert war nichts. Es ärgerte sie viel mehr, dass dies wohl keinen besonders eindrucksvollen Anblick abgegeben hatte.
„Sieh an, der verräterische Herzogspross.“ Warum war er wohl wieder hier? Vica schüttelte sich die weißen Haare aus den Augen, die bei ihrem Flug und Sturz vom Dach zerwühlt worden waren.
Mico war auf die Füße gesprungen und zerrte seine Freundin auf die Beine. Das Mädchen war bleich und auch wenn Vicas neue Augen Probleme hatten, die Details zu erkennen, klebte scheinbar eine Menge Staub an ihr. Der Schlossknacker griff auch nach dem Kind, das mit großen Augen zu dem Dachen aufsah und viel mehr fasziniert als verängstigt aussah - dummes Ding – und zog es hinter sich. „Was tust du, Vica?“, fragte er schließlich und mit Genugtuung sah Vica die Angst, die Diabhal in dem Cecilian weckte. Ja, dieses Mal würde er nicht mit einer zerfleischten Fresse davonkommen. „Was gedenkst du zu erreichen?“ Er bemühte sich um Wut, aber es war nicht schwer zu sehen, dass die Sorge dominierte und Vica war auch nicht so dumm zu übersehen, dass er seinem Bruder oder Cousin, oder wer auch immer der andere Typ war, bedeutete, das Mädchen und das Kind aus der direkten Reichweite des Drachen zu bringen.
Es kostete sie einen Kniff in die Seele ihres neuen Gefährten, um einen Flammenstrahl auf den Durchgang speien zu lassen, durch den Micos Familie verschwunden wäre. Nicht mit ihr. „Enttäuscht, dass man nicht mehr mit mir umspringen kann, wie man will?“ Sie grinste. Der Brudertyp zog Mädchen und Kind gerade rechtzeitig zurück und sah sich nach einem Fluchtweg um, mit dem nicht das Gleiche geschehen würde, doch dank des zusammengebrochenen Pesthauses lag hier überall Holz, das wunderschön brannte. Die Hitze war bis hierher spürbar. Drachenfeuer war schon eine schöne Sache. „Braucht es eine Warnung oder rückst du freiwillig damit raus, wo er ist?“ Sie hob die Augenbrauen. Eigentlich rechnete sie ohnehin damit, dass Machairi jeden Moment aus einem der Schatten treten würde, um eines seiner verdammten Messer zu schmeißen, aber die scharfen Sinne des jungen Drachens hatten noch nichts wahrgenommen und der Schatten blieb zwar oft unbemerkt, doch selbst er war nicht gänzlich unsichtbar.
„Warum sollte ich, selbst wenn ich es wüsste? Röstest du mich dann nicht?“ Dieses Mal war er etwas erfolgreicher in seiner Abfälligkeit, das änderte jedoch nichts an dem eindeutigen Unbehagen, als sich seine kleine Versammlung wieder hinter ihm verkrümelte. Als hätte dieser Dietrichknutscher irgendetwas gegen sie ausrichten können.
„Für deine eigene wertlose Birne brauchst du dir keine Hoffnungen zu machen, aber vielleicht möchtest du deine Küken da lieber nicht brennen sehen?“ Sie tätschelte den Hals des Drachens.
Die grimmigen Gesichtszüge verzogen sich zu einer bitteren Grimasse und der Schlossknacker ballte die Hände zu Fäusten. Der Drache begann ein wenig zu tänzeln und auch Vica erinnerte sich daran, dass sie zwar einen Schwachkopf, aber dennoch einen Magier vor sich hatte. Sie hatte nie erfahren, was Mico konnte und was er nicht konnte. Aber auch wenn sie nichts davon gesehen hatte, hatte er bei dem ersten Aufeinandertreffen mit Spítha irgendetwas gezaubert, was den erfahreneren Drachen zumindest aufgehalten hatte. Vielleicht war etwas mehr Vorsicht geboten. Dann fiel Micos Blick scheinbar erstmals an Vica vorbei auf den Berg, der einst die Irreninsel gewesen war, und sie beobachtete mit Genugtuung, dass seine Gesichtszüge entgleisten. Er schüttelte fassungslos den Kopf, weil er offenbar nicht einsehen konnte, dass sie endlich die Stärkste war. „Siehst du gar nicht, was du hier tust?“, fragte er bitter und beachtlich ruhig dafür, dass ihm die Angst so deutlich sichtbar die Eingeweide zerfraß.
Sie hätte sich den ganzen Tag daran laben können, aber sie hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen. Es mochte Chaos herrschen, aber der Weg zum Tempel war noch nicht frei. „Ich sehe tatsächlich, was ich tue. Und es ist gut. Ihr habt es verdient. Es war längst höchste Zeit, dass euch mal jemand wachrüttelt und mal einmal ihr verraten und ausgesondert werdet. Fühlt sich toll an, nicht wahr?“ Vica erinnerte sich an all ihre Streits und wie oft sie ihn verflucht hatte, wie sehr sie sein Verhalten gehasst hatte und wie häufig sie ihn am liebsten erwürgt hätte. Seine offene Ablehnung war immer wieder Gift gewesen. Wie passend war es doch, dass er nun als erster hier vor ihr stand, um seine Strafe zu erhalten. Sie spürte ihre Mundwinkel zucken und es hätte sie nicht gewundert, wenn ihr ein Knurren entfahren wäre. Die Fuchsohren zuckten und sie warf sich einem Impuls folgend die Kapuze vom Kopf. „Leute wie du … mit ihrer herablassenden und arroganten Art, ohne Sinn für die Feinheiten der Natur und diesem ständigen Glauben, etwas Besseres zu sein, mit dieser versklavten Magie. Ihr habt euch das alles selbst zuzuschreiben!“ Sie ballte die Hand zur Faust und Diabhal versuchte, eine weitere Flamme zu speien, aber nur eine Rauchwolke kam aus seinen Nüstern. Ärgerlich stieß sie die Hacken in die Schuppenhaut und beim zweiten Versuch ging eines der anliegenden Häuser lichterloh in Flammen auf. Selbst der Stein brannte unter dem Drachenfeuer und Schreie erklangen aus dem Inneren, gedämpft und panisch. Es polterte und knallte, als die fragile und vom Erdbeben angeschlagene Konstruktion der Hitze erlag und die Schreie verstummten, als das Haus zusammenbrach.
Mico schnaubte sichtbar und schob das Kind zurück hinter sich, als es vorsichtig hinter seiner Jacke hervorlugte. „Es ist der Bienenstock, Vica, niemand landet hier, ohne irgendwo ausgeschlossen worden zu sein. Außerdem warst du doch selbst immer die erste, die jedem die Augen auskratzen wollte, der dir neu war. Denk mal an die Hatschi! Was gibt dir das Recht, deine Komplexe an einer ganzen Stadt zu kompensieren, wenn die wenigsten der Bewohner dich je gesehen haben?“
Wollte er nur Zeit schinden, oder verstand er es wirklich nicht? Es ging doch nicht nur um sie! Es ging ebenso um Zerita und alle anderen verlorenen Seelen, die für ihre Andersartigkeit gemieden wurden. Es ging um Sünden, von denen sich niemand hier freisprechen konnte, um Verachtung des Andersartigen und die rücksichtlose Arroganz, die allen Menschen früher oder später anzuhaften schien. Dieser verunstaltete Kerl brauchte ihr nicht unter die Nase zu reiben, dass auch sie Fehler gemacht hatte. Nicht zuletzt hatte sie sich viel zu lange an den unsäglichen Bastard geklammert, zu viel auf sein Wort vertraut und sich von ihm abhängig machen lassen. Immer wieder war er der Kern alles Schlechten. Es war alles seine Schuld und wieder ballte sich die Wut in Vica. „Es könnte mir nicht egaler sein, wie dumm du dich stellst. Sag mir jetzt, wo er sich hin verkrochen hat, oder ihr könnt in Flammen baden.“
„Was weiß ich. Du könntest ihn gut genug kennen, um zu wissen, dass niemand mehr weiß, als er wissen muss.“ Der Magier legte die Hände aneinander und zog sie auseinander. Langsam schien sich Energie zwischen seinen Handflächen zu sammeln, die wild umhersauste. „Und das wäre nicht mein erster Kampf mit einem Drachen.“
Vica verdrehte die Augen und lachte. „Wird auch nicht der erste, den du verlierst“, stellte sie mit einem Blick auf die Narbe fest. Ihnen war doch beiden klar, dass er nur seine Unsicherheit zu überspielen versuchte. Dummerweise hatte er vermutlich dahingehend recht, dass sie hier nicht weiterkam und er ihre Zeit verschwendete. Sie konnte jene, die ihre Rache speziell verdient hatten, nicht alle langsam leiden lassen, aber sie wollte eine solch gute Gelegenheit auch nicht einfach verstreichen lassen. Außerdem ließ irgendetwas sie zögern, die ganze Familie unter einen Flammenstrahl zu stellen. Es musste an Diabhal liegen, der mit jeder Sekunde etwas unruhiger wurde und die pulsierende Magie in den Händen des Magiers mit argwöhnischer Neugierde beobachtete. Im Gegenzug hatte auch er einen aufmerksamen Beobachter. Das Kind sah schon wieder neugierig an dem Magier vorbei, um den Drachen zu begutachten, und Vica ergriff die Gelegenheit beim Schopfe und schloss die Augen. Dieses Kind war dem arroganten Magier wichtig, mit etwas Glück war es vielleicht sogar sein eigener Sprössling. Wer wusste schon, was Micos Doppelleben alles hervorgebracht haben mochte. Es würde seinen Zweck erfüllen.
Sie hatte ihre neuen Fähigkeiten noch nicht oft ausprobiert. Die Testobjekte auf der Irreninsel wären vermutlich auch nicht sehr repräsentativ gewesen. Aber der Geist eines Kindes war dem eines Tieres nicht zu verschieden, so unschuldig und vordergründig, wie die Gedanken noch waren, und so hätte es keine Schwierigkeit sein sollen, den kleinen Jungen zu steuern. Tatsächlich hatte das Kind aber eine erstaunliche Willenskraft und bereitete ihr Schwierigkeiten. Doch in diesen Momenten übernahm die dämonische Präsenz bereitwillig die Führung und fügte das Kind Vicas Willen. Mico war zu beschäftigt mit seinem dummen Zauber und die Frau konnte das Kind nicht schnell genug festhalten, da war es bereits hinter dem Schlossknacker hervorgeschlüpft und ein paar Schritte vorgeeilt. Ein erschrockener Schrei der jungen Frau vermischte sich mit dem Lärm von schlagenden Flügeln und Diabhal erhob sich weniger elegant in die Luft, schloss die Klauen um das Kind und schwang sich in die Luft.
Ein tosendes Energiebündel sauste knapp an ihnen vorbei und nur der dämonischen Seite der jungen Frau war es zu verdanken, dass sie den Drachen rechtzeitig zum Ausweichen zwang. „Ich tausche Kind gegen Messerdämon“, schrie Vica gegen den Wind an, sicher, dass der Narbengesichtige es hören würde. Noch einmal würde er es nicht wagen, auf sie zu schießen, mit was auch immer das für Magie war. Das Kind würde ebenso in den Tod fallen wie Vica und ihr Drache, zumal der stets noch eine Möglichkeit hatte, sich und seine Reiterin abzufangen. Sie brachte ihre kleine, nun mehr zappelnde Geisel hoch hinauf, auf die Spitze des neuen Berges, zu den Trümmern der Häuser der Parastrati, und setzte das Kind dort ab. Sie war vollkommen darauf vorbereitet gewesen, dass das Kind anfangen würde zu schreien und zu heulen. Selbst sehr dumme Fluchtversuche hätte sie nicht ausgeschlossen. Doch der kleine Junge ließ sich zwischen die Trümmer setzen und näherte sich dann vorsichtig dem gelandeten Drachen. Neugierig betrachtete das Kind die große Kreatur und streckte ein Händchen aus, an dem Diabhal zu Vicas Entsetzen sogar neugierig schnupperte uns sich streicheln ließ. Dieser Drache wusste eindeutig noch zu wenig von der Grausamkeit der Menschen. Spítha hatte genau gewusst, dass man keinem von ihnen trauen konnte, und das Magierproblem beinahe gelöst. Dieser Drache hingegen war noch zu jung, um zu verstehen, wie schlecht diese Welt zu Wesen wie ihm und ihr waren. Energisch riss Vica ihr eindrucksvolles Reittier von dem Kind los. Klein oder nicht, dieses Kind war irgendein Sprössling dieses unsäglichen Großherzogs und es hatte Glück, dass es eine derart gute Möglichkeit war, Micolazius zappeln zu lassen. Für den Augenblick hatten sie alle großes Glück, dass Vicas Prioritäten auf einer anderen Person lagen und Mico ihr dabei nützlich sein konnte. Sonst hätte sie ihn gerne schreien und brennen gesehen.
Doch jetzt, bevor sie irgendetwas anderes tat, musste sie noch eine Abmachung erfüllen. Weil sie besser war als diese ganzen Verräter. Los, forderte sie von ihrem Drachen, doch Diabhal hatte lieber den Kopf wieder zu dem Kind gestreckt und schmiegte sich an den kleinen Jungen, der lachend auf den Hintern fiel, als der große Kopf stärker war als er. Verständnislos starrte sie auf das kleine Menschchen hinab. Warum hatte es keine Angst? Warum mochte das dumme Drachenbaby es auch noch? Dieser Junge hätte sich fürchten sollen! War ihm nicht klar, dass seine dummen Eltern den Tag nicht überleben würden? Waren Kinder so verblödet und kurzsichtig, dass sie ihr Ende nicht kommen sahen? Vielleicht sollte sie das Kind doch einfach verbrennen oder ins Meer schmeißen. Der Magier würde wohl besorgt genug sein, um ihr trotzdem die nötigen Hinweise zu geben und wenn nicht, würde sie den Bastard eben selbst finden. Feindselig musterte sie den Jungen, der lächelnd über die Schuppen strich, und Diabhal legte sich auf den Bauch, was Vica gehörig durchschüttelte.
„Wie heißt er?“, fragte das Junge da und sah fragend zu Vica hinauf, die nun endgültig die Intelligenz dieses Kindes anzweifelte. Verständnislos starrte sie ihn an. „Sind alle Drachen so groß wie dieser?“, fragte er dann weiter. „Papa hat gesagt, dass Drachen gefährlich sind, aber dieser ist ja ganz lieb… darf ich auch mal auf dem Rücken fliegen?“
Steh auf! befahl Vica nachdrücklich und zwang ihren Drachen auf die Beine. „Wenn du nicht die Klappe hältst, zeige ich dir gleich, wie lieb er ist!“, fauchte sie das Kind an. Das wäre ja noch schöner. Sie sollte Diabhal befehlen, dem dummen Ding die gleiche hübsche Narbe zu verpassen, die seinen Vater verzierte! Aber der Drache mochte das Kind aus unerfindlichen Gründen und Vica hatte keine Lust, sich mit ihrer besten Waffe zu überwerfen, nur um ein nerviges Kind zu belehren. Sie wollte sich erneut entfernen, aber dieses Mal entschied sie sich selbst um. Sie brauchte dieses nervige Ding vielleicht noch. Möglicherweise würde sogar Machairi mit seinem seltsam unzuverlässigen Beschützer…ding dem Kind helfen wollen.
„Aber ich will auch mal richtig fliegen!“, beschwerte sich das Kind und hatte offensichtlich nicht gelernt, die Schnauze zu halten. Verzogene Herzogsblagen!
„Fein!“, stieß sie hervor und sprang von Diabs Rücken. Sie strauchelte, als sie auf einem Trümmerteil aufkam und wegrutschte. Unelegant fing sie sich ab und stapfte über die ehemalige Insel. Es rumorte unter ihren Füßen und das neu aufgetauchte Tor zur Unterwelt war bereit, sich gleich zu öffnen. Mit anderen Worten: Sie musste sich beeilen. Irgendwo zwischen den Resten der Häuser fand sie ein brauchbares Seil und trat entschlossen auf das Kind zu. Das streichelte schon wieder den Drachen und der Anblick machte Vica wütend. Das war ihr Drache. Bevor der Junge ganz verstand, was sie tat, hatte sie ihn dürftig gefesselt. Bei Dingen, die etwas Fingerspitzengefühl benötigten, waren die langen Klauen an der rechten Hand doch unpraktisch und sie hatte noch nie jemanden gefesselt. Es überraschte sie fast selbst.
„Aua!“, beschwerte sich das Kind und dann fing es plötzlich doch an zu schreien. Lauthals krähte und heulte es, dass sich Diab erschrak und nur vorsichtig den Kopf wieder an dem Kind rieb. Er fing sogar selbst an zu schnauben und hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie gedacht, dass der junge Drache versuchte, das Weinen nachzuahmen oder das heulende Blag zu trösten. Vica verdrehte darüber nur die Augen, schlug energisch die Schnauze des Drachen aus dem Weg und warf das Kind über seinen Hals, bevor sie selbst wieder auf den Schultern Platz nahm. Obwohl es ihre Ohren zum Schrillen brachte, ignorierte sie das nur noch lautere Schreien und übernahm wieder die volle Kontrolle über ihren Drachen. Flieg!
Sie waren kaum wieder über dem Bienenstock, da wurde es Vica bereits zu bunt. „Wenn du nicht aufhörst zu schreien, schmeiß ich dich runter, verstanden?“, fauchte sie das Kind an, das wie ein nasser Sack vor ihr über dem Drachenhals hing, der plötzlich viel vorsichtiger zu fliegen schien. Wenigstens hatte der Schreihals wohl jetzt genug Angst, um sich tatsächlich zu bemühen, ihr nicht weiter auf die Nerven zu gehen. Nur ab und an ließ er ein leises Wimmern und Schniefen hören, das ihr unnötig energisch in die Ohren schnitt und ein seltsames Drücken auslöste. Dieses verdammte Kind ging ihr so sehr gegen den Strich, dass sie es sofort hätte in die Tiefe stürzen lassen sollen. Doch irgendwie konnte sie sich selbst nicht dazu bewegen und mit Entsetzen stellte Vica fest, dass es ihr leidtat.
Nun war sie nicht mehr nur auf ihren Drachen und seine Beeinflussbarkeit wütend, sondern hätte sich gern selbst angeschrien. Ebos‘ dämonisches Geschenk lehnte sich gegen das Gefühl auf und Vica knirschte mit den Zähnen. Sie konnte es nicht gebrauchen, wenn nun Zweifel in ihr aufkamen! So vehement sie konnte, schob sie das Schuldgefühl fort und versetzte der Nervensäge einen kräftigen Schlag, als er schon wieder wimmerte.
Vica betrachtete die Stadt, die tief unter ihr lag. Hier und da brannte noch ein kleines Feuer und der Wind trug die Geräusche des aufgebrachten Chaos zu ihr hinauf. Es kitzelte in den Ohren, brachte die Finger zum Kribbeln und weckte eine neue Art der Entschlossenheit, als sie einen Augenblick innehielt, um es zu genießen. Nicht zu weit entfernt zappelten die Fahnen des Schlosses im Wind, wurden zerrissen von tosenden Böen und die dunklen Wolken waren nah genug, dass sie sie fast zu berühren glaubte. Den unnötigen Göttern war die Sicht versperrt. Es war Zeit. Das Fuchsmädchen strafte die Schulter, blinzelte und richtete den Blick der nicht länger blinden Augen auf die Stadt hinab. Sie würde es genießen.
Dann ging der Drache in den Sinkflug. Es war berauschend. Dieses Mal blieb sie nicht weit über den Häusern, ließ ihn nicht nur vereinzelte Flammen speien. Dieses Mal segelte sie dicht über die Straßen und brannte Ebos den Weg frei. Und wenn Diabhals Feuer versagte, wenn er Luftholen musste, dann flog sie eine Runde. Sie schickte das fliehende Ungeziefer zurück in die Stadt, stürzte sie auf die Fliehenden und brachte dem Bienenstock die Rache, nach der sie sich so gesehnt hatte. Immer größer wurden ihre Kreise und bald konzentrierte sie sich nicht mehr bloß auf die Schneise, die sie schaffen wollte. Sie brannte das elende Freudenhaus ab, in das der doppelzüngige Harethi sie gelockt hatte, damit der Messerdämon sie weiter erniedrigen konnte. Sie setzte die Häuserecke in Flammen, an der sie den Mentolitenstaub zum ersten Mal genommen hatte. Hätte sie noch etwas davon gehabt, hätte sie es jetzt gerne genommen und den Rausch noch verstärkt, der es ihr schon lange nicht mehr schwer machte, das Weinen des Jungen zu ignorieren. Sie hatte nicht gewusst, dass Drachen ein Gewissen oder ein Moralempfinden hatten, aber die Kräfte, die der dämonische Teil ihrer Selbst ihr gaben, übertrumpften das kindliche Drachengemüt. Häuser brannten, Menschen brannten, Straßen brannten. Es krachten die Gebäude, es ächzte das Holz, es schrien die Straßen. Der Bienenstock schmolz im Drachenfeuer und Kefa folgte. Das weiße Gebäude des Tempels wurde geschwärzt vom Ruß, doch sie tastete es nicht an. Ebos brauchte diese Hallen noch. Das war ihre Bedingung und auch wenn es verlockend klang, die Hochburg der menschlichen Hoffnung ebenso dem Chaos zu überlassen wie den Rest der Stadt, hielt sie sich zurück. Doch Diabs Flammenatem wurde immer kürzer und ausgerechnet als sie die oberen Viertel erreichten, in denen die Menschen dennoch bereits kopflos durcheinanderliefen und zu der noch unbeschadeten Akademie strömten, kamen nur noch lächerliche Rauchwolken aus dem Drachenmaul. Dann plötzlich schrien die Sinne des Drachen auf und Vica sah entsetzt dem gewaltigen Bolzen nach, der Diabhals Flanke gestreift und eine tiefe blutige Wunde hinterlassen hatte.
Das zweite Geschoss sah sie kommen. Von der Palastmauer schossen gewaltige Armbrüste, die von zwei Schützen bedient werden mussten, auf den Flammenbringer und seine Reiterin. Vica schnalzte ärgerlich mit der Zunge und rettete sich und ihre Waffe in die Höhe und zurück über die brennende Stadt. Und dann, endlich, zerriss ein Lärm die Stadt, der so ohrenbetäubend laut war, dass auch die aufgebrachtesten Todesschreie der Bewohner der Hauptstadt nicht darüber tönen konnten. Mit lautem Quietschen, Kreischen, Knallen und Krachen zerfiel das steinverdeckte Tor im neuen Berg und die Unterwelt brach frei.
Wie haben wir darauf gewartet, dass Vica endlich vollständig den Verstand verliert XD. Leider kann ich kein Instagram-Abstimmungstool programmieren, deshalb frage ich einfach so: Wer glaubt, dass Mico überlebt? Wer glaubt, dass Mazulis überlebt? Lia? Tilo? ..... Vica? Man hat mir bereits mit ewigem Hass gedroht, wenn diese kleine Family ins Gras beißt, aber wird mich das davon abhalten?
Außerdem wüsste ich natürlich gerne, wie euch das Kapitel gefällt. Ist es unerträglich grausam? Ist es gut grausam? Ist es gar nicht so schlimm, weil Diab und das Kind so cute sind? Warum verstehen die sich so gut?
Erzählt mir all eure Ängste und Sorgen XD und natürlich auch eure Hoffnungen, man weiß ja nie, ob dieses Buch nicht doch noch ein Happy End bekommt.
Bisher steht die Planung übrigens bei "unter 50" XD. Ein bisschen was kommt also noch, ich möchte es aber eigentlich noch im September fertig haben... Naja. Schaut unbedingt die Tage mal bei "Neues" rein, weil ich eine coole Ankündigung machen werde... nur so schonmal als Teaser (der absolut nichts mit Pyria zu tun hat... sorry XD).