48. Kapitel - Taub und Stumm


Töte ihn! Die Sinne des jungen Drachen drückten gegen sie und wollten ihr die Kontrolle verwehren. Der elende Magier lag vollkommen wehrlos vor ihnen am Boden und der verdammte Drache zögerte. Diabhal gab ein Schnauben von sich und rieb den großen Kopf an dem Magier. Das durfte doch nicht wahr sein! Töte ihn!, wiederholte sie ihren Befehl und grub ihre Klauen in die Drachenschulter. Er hatte ihr zu gehorchen. Ihr allein!
Doch Diabhal schnaubte ein weiteres Mal und warf unwillig den Kopf in die Luft. Seine Sinne fochten mit ihren, lehnten sich auf gegen ihre Beherrschung, weil sich dieser Drache aus unerfindlichen Gründen weigern wollte, diesen Idioten zu zerfleischen. Dabei hatte er doch sämtliche anderen Gräueltaten begangen, die sie ihm aufgetragen hatte? Nur bei diesem wertlosen Magier und seiner Brut war irgendetwas anders.
Vica sammelte ihre ganze Kraft und drückte sie gegen den Drachen. Seit sie wusste, dass Machairi tot war, schien ihr die Kontrolle mehr und mehr zu entgleiten. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, dass sie niemanden mehr hatte, an dem sie ihre verdiente Rache nehmen wollte. Mico war ein schwacher Trost und auch Zedian, der nun ein Schwert zog, das er sich seit ihrer letzten Begegnung besorgt haben musste, hatte Elend verdient. Doch nichts davon konnte wettmachen, dass ihr größtes Ziel, der krönende Abschluss ihres Feldzugs, ihr verwehrt blieb. Und nun wollte dieser bescheuerte Drache ihr auch noch den Magier verwehren? Es war doch kaum noch jemand übrig, an dem sie sich rächen konnte? Wo war das Gefühl der Genugtuung, das sie so dringend herbeigesehnt hatte? Warum war so kurz vor dem Sieg keine Erleichterung? Wütend schrie sie auf und trat Diabhal in die Seiten. Warum konnte sie ihn nicht länger beherrschen? Die Bedrohung durch Zedian und seinen Begleiter war nicht länger von der Hand zu weisen, aber sie hätte den Drachen kaum Anstrengung kosten sollen. Micos Verderben würde also noch etwas auf sich warten lassen müssen. Fein, dann eben Feuer! Sie kniff ihm in die Seele, doch nichts geschah. Nur eine Rauchwolke stieg aus den Nüstern des Drachens auf. Etwas stimmte nicht. Sie hatte sie gespürt, seit das Tor zur Unterwelt aufgebrochen war, ihre dunklen Verbündeten, die sich körperlos über die Welt ergossen und sich an der Zerstörung labten, die Vica für sie geschaffen hatte. Doch nun schienen sie schwächer zu werden, weniger verbunden zu sein und sich zurückzuziehen, als wäre der Kampf bereits vorbei.
Hatten sie die cecilianischen Soldaten vernichtet? Hatte Ebos die Welt bereits betreten und den Weg genutzt, dem Vica ihm gebahnt hatte, ohne dass sie etwas davon bemerkt hatte? Wo waren sie hin und warum schien es plötzlich dunkler zu werden? Als fiele im Zeitraffer die Nacht über sie, erkannte sie mit jedem Atemzug weniger von der Welt um sie herum und eine schwere Müdigkeit deckte sich über sie, als wäre ihr Körper plötzlich überwältigt von der mangelnden Versorgung der letzten Tage, die ihr bis vor wenigen Augenblicken nichts ausgemacht hatte. Sie sah auf ihre Hände hinab und beobachtet, wie mit ihrer Sehkraft auch das schwarze Mal und die mächtigen Finger schrumpften, und plötzlich hatte sie Angst. Sie war noch nicht fertig! Das durfte nicht alles sein. Es musste noch etwas geben, was sie tun konnte, um tatsächlich ihre verdiente Rache auszukosten. „Noch nicht!“, stieß sie hervor und hoffte, das Ebos es hören konnte. Es war noch nicht vorbei. Nicht vorbei!
Doch der dunkle Gott erhörte sie nicht, betrachtete ihre Abmachung als erfüllt und die dämonische Kraft verließ sie, ohne dass sie sie festhalten konnte. Vicas neues Augenlicht verschwand und mit ihm die Stärke, die Ebos ihr verliehen hatte, und als ihre rechte Hand nur noch drei Finger hatte, zog das Gewicht ihres eigenen Körpers sie zu Boden. Nur mühsam hielt sie sich auf dem Rücken des Drachen, fühlte seine Sinne noch, doch konnte sie nicht mehr überwältigen. Eine reine Kommunikation, in der sie nichts als ein Gast war, wie es immer gewesen war, bevor Ebos alles einfacher gemacht hatte. Tränen rannen aus den blinden Augen und sie hörte Schritte auf dem Dach. Hilf mir, dachte sie an den Drachen gerichtet. Hilf mir gefälligst! Wie konnte Ebos sie im Stich lassen, bevor sie richtig fertig war? Wie konnte er ihr ihre Stärke nehmen, wenn er doch versprochen hatte, dass sie sich an ganz Kefa und besonders an Machairi rächen durfte? Nur weil ihr jemand zuvorgekommen war.
Runter, dachte der Drache in seinen kindischen Instinkten. Runterwerfen. Und dann begann er sich zu schütteln und hin und her zu werfen, um Vica von seinem Rücken zu befördern. Plötzlich vollkommen ausgelaugt klammerte sich Vica an den Stacheln fest, doch je länger sie sich hielt, weil das Verlassen dieses Platzes eine schreckliche Kapitulation gewesen wäre, desto mehr wehrte sich der Drache. Er schlug mit den Flügeln, wirbelte hin und her, erhob sich in die Luft und vernichtete damit die Hoffnung, dass er wenigstens den Magier versehentlich zerquetschen würde. Immer mehr rutschte Vica zur Seite, hielt sich in all ihrem Schmerz und ihrer Hilflosigkeit fest, so lange sie konnte. Doch die Gewissheit, dass ihre Überlegenheit nicht zurückkehren würde, war überwältigend, und ihre Kräfte schwanden stetig weiter. Müde, hungrig und ausgelaugt, wie sie war, wurde sie sich schmerzlich der Entbehrungen klar, derer sie sich in den letzten Tagen ausgesetzt hatte, und auch das Verzehren nach dem Mentolitenstaub kehrte zurück. Kaum hatte sich die Erinnerung an das Pulver in ihre Gedanken geschlichen, war die Sucht kaum zu ertragen, und es brach ihren Griff.
Vica stürzte, doch der Fall war kurz und wurde hart von einem Dach gebremst. Sie wollte aufspringen, besonders als sie jemanden über sich spürte. Kämpfend untergehen, das war der Plan, doch sie konnte sich kaum auf ihre zitternden Arme stützen, und als sie Metall vor der Kehle spürte, wusste sie, dass sie am Ende war. Taubheit fing sie ein, ein erschlagendes Gefühl der Resignation, und sie konnte sich nicht einmal wehren, als sie jemand fesselte. Die Blinde lauschte den Gesprächen nicht, nahm kaum wahr, dass der Drache sie verließ und mit einem neuen Reiter davonflog, dessen Herzschlag ihn seines eigenen Verstandes bemächtigt hatte. Vica gab auf und wünschte sich … nichts. Kein Begehren nach Rache überlebte die tiefe, taube Niedergeschlagenheit, keine Wut auf Machairi oder den Gott, der ihr nicht gegeben hatte, was sie gewollt hatte, nicht einmal Sucht und Hunger waren stark genug, um die schmerzliche Traurigkeit zu überwinden. Sie würden sie töten. Vielleicht nicht sofort, wenn sie sich das Spektakel einer großen Hinrichtung nicht nehmen wollten, aber sie würden sie töten. Das war ein Trost. Sie hatte alles getan, was sie konnte, jeden Funken ihrer Kraft in ihr eigenes Ziel gesetzt und nichts unversucht gelassen, obwohl alle sie verlassen hatten. Ihres Sieges war sie sich sicher gewesen, doch die gleichen Menschen, die so nichtig und hilflos gewirkt hatten, als sie auf dem Rücken eines Drachen gesessen hatte, waren nun unbezwingbar stark, da sie kraftlos am Boden lag. Taub und stumm.


In der Kürze liet die Würze XD.

Dies ist nun das kurze Ende unserer lieben Antagonistin. Die wichtigste Frage (die ich gestern beinahe schon gestellt hätte, bevor mir aufgefallen ist, dass das noch gar nicht klar war XD): WARUM mag der Drache Mico? Es gibt eine sehr gute Erklärung dafür und ich habe mich hier dafür entschieden, sie einmal nicht ausdrücklich zu benennen, weil die Andeutungen so offensichtlich sind, dass es eigentlich im Subtext klar sein müsste. Sollte. Also sagt mir: Woran liegt es?

Ja, ich habe Micos Familie nicht getötet und Mico lebt auch noch. ZUFRIEDEN?! Sogar Vica lebt noch ... also ... jetzt gerade XD. Von 6 Leuten mit Sicht rennen jetzt also noch 3 in der Weltgeschichte rum und dann ist da noch Machairi, der im letzten Kapitel noch einmal zu Worte kommen wird, das morgen um 14 Uhr erscheint. Also kiddies: Was sind eure Gedanken? Sagt mir alles! Gefällt euch das Ende bisher? Was erwartet ihr vom letzten Kapitel? Gibt es noch offene Fragen?

Wir hören uns morgen zum letzten Wort :)

PS: Ja, das Bild passt nur so semi-gut, aber ich fand, es war gut für Vica und ich kann nicht so schnell zeichnen wie neue Kapitel hochladen XD